Über Völkermord urteilen

Über Völkermord urteilen


Die Entscheidung des IStGH zu „Südafrika gegen Israel“ klargestellt

Über Völkermord urteilen

Von Prof. Raymound Wacks

Sollte Israel vom Joch der Philister befreit werden;
bittet jetzt um diesen großen Befreier und findet ihn
augenlos in Gaza in der Mühle mit Sklaven,
selbst gebunden unter dem Joch der Philister…
John Milton, Samson Agonistes

Drei Monate sind vergangen, seit Südafrika, das sich den Umhang des pflichtbewussten Beschuldigers umhängte, vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unter der Völkermord-Konvention Klage erhob, um einen Waffenstillstand als „provisorische Schutzmaßnahme“ sicherzustellen. Am 26. Januar wies das Gericht Israel an eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen, um Akte des Völkermords an Palästinensern im Gazastreifen zu verhindern, darunter das Töten von Palästinenser, die schweren körperlichen oder mentalen Schaden an Zivilisten verursachen, und die Verhängung von Maßnahmen, die Geburten verhindern sollen. Israel wurde zudem angewiesen sofortige Schritte zu unternehmen, um die Lieferung von humanitärer Hilfe für Einwohner des Gazastreifens zu erlauben. Ihm wurde ein Monat gegeben, um zu den von ihm zur Einhaltung dieser Anweisungen unternommenen Schritte zu berichten. Am 6. März reichte Südafrika sein drittes Ersuchen nach einstweiligen Maßnahmen ein.

 
 
 

Israel reagierte mit einer umfassenden Zurückweisung der Vorwürfe Südafrikas, die, so sagte es, „ein bekanntes Muster der Falschdarstellung der Wirklichkeit“ bildeten, „fälschlich diese angebliche Realität israelischen Missetaten zuschreiben und verleumderisch Israel bösartige Absichten attestieren, die schlicht nicht vorhanden sind.“ Diese neue Anwendung zur Ergänzung oder Modifizierung der vorläufigen Maßnahmen am 26. Januar, wird beteuert, „hängt an einer Falschdarstellung der Realität und einem sensationslüsternen und obsessiven Versuch, Israel der entsetzlichsten Verbrechen zu beschuldigen, ohne Rücksicht auf Recht oder Fakten“.

Campus-Chaos: Die Aussage des Autors, dass das Urteil des IStGH vor allem eine „Leidenschaften entzündet“ und „das Niveau der Antipathie“ verstärkt hat, ist bei Protesten an Universitäten überall in den USA nur allzu offenkundig wie hier an der City University of New York (CUNY), wo der New Yorker Filmemacher Ami Horowitz von einem wütenden Mob israelfeindlicher Protestler auf dem Campus geschlagen, ihm wurden Kopfstöße versetzt und er wurde geboxt.

Dieser Konflikt lässt verbissen keinen Mittelweg zu. Er entzündet weiter eine polarisierende ideologische Fehde zwischen Kräften, oft auf bösartige Weise, die eine rationale Diskussion verhindert. Das Urteil des IStGH hat lediglich Leidenschaften angefacht und das Niveau von Erbitterung und Antipathie verstärkt. Es scheint wenig Raum für eine unvoreingenommene Bewertung der Krise oder einen Weg hinzu einer gewissenhaften Überlegung der Fakten zu geben. Demonstrationen in Städten und an Universitäten in vielen Ländern diffamieren Israel als völkermörderischen Apartheidstaat, der ein koloniales Projekt der Verfolgung von Palästinensern verfolgt, deren „Freiheitskämpfer“ nach 76 Jahren der Unterdrückung lediglich ihr Recht auf Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen.

An der Columbia University skandierten Demonstranten zum Beispiel:

Wir sagen Gerechtigkeit, ihr sagt „wie?“
Brennt Tel Aviv nieder,
Ya Hamas, wir lieben euch,
auch wir befürworten eure Raketen!

In meinem früheren Text, hier kurz nach dem Beschluss des Gerichts veröffentlicht, schlug ich vor, dass es einfältig wäre sich vorzustellen, dass ein uralter Krisenherd für einfache Lösungen empfänglich ist, insbesondere nach der Grausamkeit und Verderbtheit des 7. Oktobers – Mord, Vergewaltigung, Folter, Verschleppung, Brandstiftung und Plünderung – und inmitten der apokalyptischen Szenen mittelalterlicher Entbehrung und Zerstörung im Gazastreifen. Ich argumentierte auch, dass das Urteil fehlgedeutet worden sein könnte. Jetzt scheint es so, dass das in der Tat der Fall gewesen ist.

Drohender Mob: Obwohl er nie auch nur ein Wort über Israel sagte oder sich als jüdisch identifizierte, wurde dem Filmemacher Horowitz an der City University of New York (CUNY) wiederholt gesagt, er solle „verdammt noch mal verschwinden“. Für diesen Mob, zu dem auch ein Imam gehörte, bestand sein einziges „Verbrechen“ darin eine amerikanische Flagge zu schwenken!

In einem Interview mit der BBC am 26. April erklärte die ehemalige Präsidentin des Gerichts, Richterin Joan Donoghue – die das Mehrheitsurteil übermittelte – was tatsächlich entschieden wurde, war, dass „die Palästinenser ein glaubwürdiges Recht haben vor Völkermord geschützt zu werden“ und dass „Südafrika das Recht hat, das vor Gericht zu vertreten“.

Das Gericht, erklärte sie, „entschied nicht – und ich hier korrigiere hier etwas, das in den Medien oft gesagt wurde. Es entschied nicht, dass die Behauptung des Völkermords glaubhaft ist… Die Kurzform, die oft auftaucht, lautet, dass es einen glaubhaften Fall von Völkermord gibt, was das Gericht aber nicht gesagt hat.“

Mit anderen Worten: Die zahllosen Medienberichte, die Südafrikas „Sieg“ über Israel bejubelten und das Jauchzen, besonders in diesem Land, dürften etwas unangebracht und voreilig sein. Ihre Botschaft sollte als „bremst eure Begeisterung!“ verstanden werden.

 
 
 

Nichts von dem, was ich seitdem gehört habe, verdrängt meine bisherigen Bedenken wegen der Art und Weise, wie der Fall vertreten und geführt wurde. Erstens hätte das Gericht bedenken müssen, ob die Völkermord-Konvention tatsächlich die angemessene Grundlage für das Verfahren ist. Wie sowohl der israelische Richter Aharon Barak als auch die Richterin Julia Sebutinde aus Uganda (gerade zur Vizepräsidentin des Gerichts gewählt) in ihren widersprechenden Beurteilungen aufzeigen, bietet das humanitäre Völkerrecht eine passendere Rechtsgrundlage, auf der die Anwendung hätte basieren sollen. Mit den Worten von Richterin Sebutinde:

Was das Verbrechen des Völkermords von anderen schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht unterscheidet, ist die Existenz des „Absicht eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche als Ganzes oder in Teilen zu vernichten“. Entsprechend können die von Südafrika beanstandeten Handlungen … nur dann in den Anwendungsbereich besagter Konvention fallen, wenn eine Völkermord-Absicht vorhanden ist, ansonsten stellen solche Handlungen lediglich schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar, keinen Völkermord.

Goodbye Columbia: Südafrikas Antrag beim IStGH gegen Israel hoffte die Gewalt zu beenden, hat ihn aber nur verstärkt.  Hier sind Hamas-Anhänger an der Columbia University in New York zu sehen, die „Brennt Tel Aviv nieder“ fordern, während sie jüdische Studenten anbrüllen: „Geht zurück nach Europa!“

Das humanitäre Völkerrecht schreibt vor, dass Schaden für unschuldige Zivilisten und zivile Infrastruktur im Vergleich zum angenommenen militärischen Vorteil nicht überzogen sein darf. Der Verlust unschuldigen Lebens ist nicht rechtswidrig, vorausgesetzt er steht im Einklang mit den Regeln und Prinzipien dieses Rechts. Ähnlich betrachtete der deutsche Richte Georg Nolte, obwohl er der Mehrheit beipflichtete, den Völkermord-Test als nicht erfüllt:

 
 
 

Ich bin nicht überzeugt, dass Südafrika plausibel dargelegt hat, dass die von Israel unternommene Militäraktion als solche mit Völkermord-Absicht betrieben wird. Die von Südafrika vorgelegten Bewiese bezüglich der israelischen Militäroperation wichen fundamental von dem ab, was in den Berichten der Faktenfinder-Mission der Vereinten Nationen zu Myanmars sogenannter Räumungsoperation 2016 und 2017 festgestellt wurde, die das Gericht dazu führte seine Anweisung vom 23. Januar 2020 in „Gambia gegen Myanmar“ zu verabschieden.

Es könnte sein, dass die Frage der Absicht nicht vollständig geprüft wurde, weil das Gericht, wie Richterin Donoghue jetzt deutlich gemacht hat, nur das Ausmaß geprüft hat, in dem es ein plausibles Risiko besteht, dass die Palästinenser irreparable Schäden erleiden könnten oder ob ihr Recht auf Schutz gegen solchen Schaden plausibel ist.

Das Gericht stimmte der Behauptung der Klägerin unkritisch zu, dass verschiedene kriegerische Aussagen, die im Nachgang der grausamen Angriffe vom 7. Oktober geäußert wurden, notwendige Absicht Israels Völkermord zu begehen demonstrieren. Ist es aber unangemessen, dass nach dem völkermörderischen Ansturm, bei dem es mindestens 1.200 Tote, viele Verletzte und rund 250 Verschleppte gab, manche in der israelischen politischen und militärischen Führung leichtsinnig lautstarke Rufe zu den Waffen losließen, Vergeltung für das unsagbare Leid versprachen, das so viele unschuldige Bürger und Ausländer heimsuchte?

Diese spontanen Äußerungen – in der Hitze der nationalen Tragödie gemacht – als Beweis für die Absicht des Staats Völkermord zu begehen zu betrachten, schient höchst tendenziös, insbesondere weil die Kommentare von Leuten gemacht wurden, die keine direkte Rolle bei Israels militärischen Entscheidungsprozessen vor Ort spielen. Sie richteten sie auf jeden Fall gegen die Terroristen, nicht gegen die Palästinenser oder Gazaner allgemein.

Die Entscheidung, so scheint es mir, bagatellisierte kurzfristig die von Israel beschworene Verteidigung. Es ist erstaunlich, dass die Richter es versäumten die entscheidende Tatsache anzuerkennen, dass Israel gegen einen Feind kämpft, der nachweislich sich der Auslöschung des jüdischen Staats verschrieben hat. Die 2017 überarbeitet („moderatere“) Hamas-Charta gibt ausdrücklich ihrer Zielsetzung Ausdruck ihren Widerstand fortzusetzen, bis Israel vernichtet ist:

Palästina symbolisiert den Widerstand, der fortgesetzt werden soll, bis die Befreiung erreicht ist, bis die Rückkehr vollendet ist und bis ein vollständig souveräner Staat mit Jerusalem als seiner Hauptstadt errichtet ist … [Palästina] wurde von einem rassistischen, antimenschlichen und kolonialen zionistischen Projekt eingenommen.

Diese Erklärung braucht keine Klarstellung.

Viertens schienen die Richter die krasse Wirklichkeit zu vernachlässigen, dass Israels gefühlloser Gegner seine Kämpfer, Waffen und Geiseln in einer gewaltigen unterirdischen Stadt verbirgt und aus Zivilisten in Schulen, Moscheen und Krankenhäusern heraus agiert. Einen Waffenstillstand anzuordnen, wie es Südafrika forderte, erlaubt der Hamas, worauf viele hingewiesen haben, sich neu zu gruppieren. Darüber hinaus hat Richterin Sebutinde entscheidend in ihrem sorgfältig begründeten Einwand anerkannt:

 
 
 

[Der Prozess] wird durch die Tatsache verkompliziert, dass es im Kontext eines anhaltenden Krieges mit der Hamas, die nicht Partei dieses Verfahrens ist, unrealistisch wäre einer der Kriegsparteien Einschränkungen aufzuerlegen, der andere aber nicht. Israel würde berechtigterweise sein Recht geltend machen sich gegen die Hamas zu verteidigen, was die Lage im Gazastreifen höchstwahrscheinlich verschärfen würde. … Es ist nur schwer vorstellbar, dass von einer der Kriegsparteien erwartet werden kann einseitig „die Zerstörung von Beweisen zu verhindern“, währen der anderen Seite freie Hand gelassen wird unvermindert weiterzumachen.

Sind die protestierenden Studenten politisch gebildet? Das ist das, was am 7. Oktober auf Israel losgelassen wurde, wie es in der Einleitung der Hamas-Charta steht: „Israel wird existieren und weiter bestehen, bis der Islam es vernichtet, so wie es andere vor ihm vernichtete.“ (Foto: Mahmud Hams / AFP / Getty)

Fünftens beunruhig, dass zwar das Gericht ausdrücklich jeglicher Faktenfindung entsagt, aber bereitwillig eine Fülle an Beweisen verschiedener UNO-Organisationen anführt, deren Neutralität zumindest fragwürdig ist. Dazu gehören das Büro zur Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA), der Unter-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfe, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), der UNO-Menschenrechtsrat und der Generalkommissar der (gerade erst diskreditierten) UNRWA.

Schließlich versäumten die Richter es zu fragen, ob Südafrikas Antrag von seiner herzlichen Verbundenheit mit der Hamas befleckt sein könnte. Die derzeitige Regierung scheint erpicht darauf zu sein als Gewissen der Welt gelten zu wollen. Seine unkritische Umarmung der Hamas verurteilt es zur Schande, von der es sich nie erholen dürfte. Nur zehn Tage nach dem 7. Oktober telefonierte Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor mit Hamasführer Ismail Haniyeh, um die Solidarität und Unterstützung des Landes für das palästinensische Volk zum Ausdruck zu bringen. Dem folgte eine Delegation dreier Hamas-Vertreter in Pretoria. Am 22. Oktober 2023 besuchte sie zudem den Iran.

 
 
 

Diese Freundlichkeit gegenüber der Islamischen Republik könnte, wie Richterin Sebutinde zurecht anmerkte, konstruktiv genutzt werden:

Das Gericht wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Südafrika und besonders gewisse Organe der Regierung, eine herzliche Beziehung zur Führung der Hamas genossen haben und sich ihr weiter erfreuen. Sollte das der Fall sein, dann sollte man Südafrika als einer Partei dieses Verfahrens und der Völkermord-Konvention ermutigen, allen ihm verfügbaren Einfluss einzusetzen den Versuch zu unternehmen die Hamas zu überzeugen als Geste des guten Willens die verbliebenen Geiseln sofort und bedingungslos freizulassen.

Man schreckt davor zurück die Glaubwürdigkeit Klage der Antragstellerin infrage zu stellen. Aber während es Israel vehement geißelt, erwähnen seine Rechtsvertreter das Böse der Hamas und anderer Handlanger des Iran kaum. Ist es möglich, dass die Sehnsucht des ANC seine radikalen pro-palästinensischen (und sogar pro-iranischen) Referenzen aufzupolieren es für das Leid der Opfer dieser Verbrechen blind macht? Ich hoffe wirklich, dass ich falsch liege und dass seine anscheinende moralische Verderbtheit nur eingebildet ist – selbst wenn manche in der Klage der Antragstellerin einen Hauch Antisemitismus entdeckt haben. Noch einmal: Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Das wäre bittere Ironie; viele südafrikanische Juden waren Vorreiter des Kampfs gegen die Ungerechtigkeit der Apartheid. Sie wurden vom Apartheidstaat gefoltert, inhaftiert und verleumdet. In seiner Autobiographie überlegte Mandela:

Ich habe festgestellt, dass [südafrikanische] Juden in Fragen von Rasse und Politik großzügiger sind als die meisten Weißen, vielleicht, weil sie selbst historisch die Opfer von Vorurteilen gewesen sind.

Er hätte hinzufügen können, dass mehrere von ihnen Verwandte hatten, die Opfer eines echten Völkermords durch die Hände der Nazis waren.

*

Wahrscheinlich wird es Jahre dauern, bis das Gericht sein Urteil in der Sache fällt. Völkermord zu definieren ist nicht einfach; er benötigt eine konkrete Absicht eine Gruppe Menschen zu vernichten. Die endgültige Entscheidung könnte Führung zu seiner Auslegung geben und das Verbrechen des Völkermords von anderen Verstößen gegen das Völkerrecht, einschließlich Kriegsverbrechen unterscheiden, für die der IStGH nicht zuständig ist.

Es ist keinesfalls sicher, dass die Bereitschaft des Gerichts Südafrikas Antrag auf vorläufige Maßnahmen zu einem Urteil gegen Israel führen wird, wann immer der Tag des Urteils dämmert. Man soestellt worden sein wird.

 

 


Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.

Autor: Heplev
Bild Quelle:


Montag, 06 Mai 2024

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




Alle Felder müssen ausgefüllt werden


Ich versichere, nichts rechtlich und/oder moralisch Verwerfliches geäußert zu haben! Ich bin mir bewusst, das meine IP Adresse gespeichert wird!

 

empfohlene Artikel

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage